Under Plain Cover

John Osborne
Under Plain Cover
Stück in einem Akt
1 D, 3 H, St, 1 Dek
Jenny und Tim, verheiratet, Eltern von zwei Kindern, führen eine glückliche gutbürgerliche Allerweltsbeziehung. Mit einer kleinen pikanten Ausnahme: Sie teilen eine Obsession für das Rollenspiel. Ob sadistischer Graf und ungeschicktes Hausmädchen, strenge Krankenschwester und störrischer Patient oder ramponierter Boxer und unschuldige Pfadfinderin – am Wochenende verwandelt sich die Wohnung in ein maison des illusions, eine Bühne für detailverliebt kostümierte Scharaden, in denen Jenny und Tim sich gegenseitig provozieren und bestrafen, verführen und unterwerfen. Der Tabubruch ist dem Ehepaar zur liebevollen Routine geworden.

Der Tabubruch ist jedoch weit größer, als Jenny und Tim ahnen. Stanley, ein raubeiniger und zugleich etwas sentimentaler Reporter bei der Yellow Press, hat Wind bekommen von einer ganz großen Geschichte: von einem scheinbar normalen jungen Ehepaar, bei dem es sich in Wahrheit um Geschwister handelt – Jenny und Tim. Nach dem Tod der Mutter in frühester Kindheit voneinander getrennt, gründen Bruder und Schwester Jahre später nichts ahnend eine Familie – eine menschliche Tragödie wie geschaffen für die Titelseite! Stanley weiß, dass er das Leben der ganzen Familie zerstören wird, wenn er die Geschichte bringt. Stanley weiß aber auch: Wenn er es nicht macht, macht es ein anderer…

Nicht der Inzest, nicht die sadomasochistischen Praktiken von Jenny und Tim sind der Skandal in John Osbornes „Under Plain Cover“, der Skandal ist die Bigotterie einer Gesellschaft, die nach innen die Ausschweifung liebt, sich nach außen aber das Deckmäntelchen der Tugend und des Anstands überwirft. In dieser Gesellschaft, und darin weist „Under Plain Cover“ weit über seine Zeit hinaus, ist die Privatsphäre längst zum Gegenstand öffentlicher Kontrolle geworden, einer Überwachung des Einzelnen in seinen kleinen alltäglichen Bedürfnissen und Normabweichungen, die bis unter die Bettdecke reicht.


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