Die gefährliche Freundin

Pierre Corneille
Die gefährliche Freundin
(La Galerie du Palais ou L'Amie rivale)
Komödie in 5 Akten
Deutsch von Rainer Kohlmayer
5 D, 7 H, 1 Dek
Das Stück spielt in Paris an fünf aufeinander folgenden Tagen. Auf der Simultanbühne sieht man die Straße, in der Célidée und Hippolyte einander gegenüber wohnen, und die Boutiquen am Justizpalast, wo die elegante Welt einkaufen geht.

Der junge Corneille serviert mit leichter Hand einen galanten, Rokoko-artigen Plot als moderne psychologische Beziehungskomödie, die in der Gegenwart und in der Großstadt spielt. Dorimant liebt Hippolyte, die heimlich dessen Freund Lysander liebt, der wiederum mit Hippolytes Freundin Célidée seit langem fest liiert ist und kurz vor der Heirat steht, obwohl die etwas leichtfertige und arrogante Célidée von ihrem treuen Lysander nicht sonderlich begeistert zu sein scheint. Hippolyte spinnt mit Hilfe ihrer Zofe (Florice) und Lysanders Diener (Aronte) eine raffinierte Psycho-Intrige: sie rät Célidée, sie möge die Anhänglichkeit Lysanders auf eine echte Probe stellen, während sie diesem einflüstern lässt, auf Célidées gespielte Gleichgültigkeit ebenso zu reagieren, damit die beiden auseinandergeraten und Hippolyte Lysander „übernehmen“ kann. Célidée geht durch eine Hölle von Demütigungen und erkennt, wie wichtig ihr die Liebe Lysanders, mit der sie so frivol spielte, letzten Endes ist. Aber auch alle anderen jungen Leute werden auf harte Nervenproben gestellt, bevor am Schluss alle Karten auf den Tisch gelegt werden.

Das Stück des 26jährigen Corneille, zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt, zeigt die Besonderheit seiner Jugendkomödien vielleicht am charmantesten: es sind erstaunlich frische, moderne Großstadtkomödien, in denen es um den Liebeshunger und die Gefährdung der Jugendlichen geht, wobei vor allem die realistisch gezeichneten Frauenfiguren dominieren. Die schöne Intrigantin Hippolyte und ihre verwöhnt-wankelmütige Freundin Célidée sind faszinierende Frauenrollen, deren sprachlicher Esprit nur die glänzende Oberfläche komplexer Charaktere ist. Die jungen Männer sind dagegen eher gutmütig, hilflos, immer bereit zum Selbstmord oder Duell, und letzten Endes schwächer als die Frauen, da sie noch liebesabhängiger sind als diese. Der junge Corneille malt keine „Helden“, sondern in sich gespaltene Individuen in konfliktreichen Beziehungen. Und keine der Jugendkomödien endet süßlich; für Corneille gibt es keine endgültigen Lösungen; seine Stücke wirken wie serielle Knotenpunkte im Leben der Pariser Jugend.

Ein besonders attraktiver Zug dieser Paris-Komödie ist das Lokalkolorit, das mit seinen komisch gefärbten Markt- und Einkaufsszenen rings um den Palast geradewegs auf den sozialen Realismus des 19. Jahrhunderts vorausdeutet. (Nebenbei: auch in diesen Szenen dominieren die Konflikte.) Im Literaturgespräch der beiden jungen Männer am Bücherstand hat Corneille einen raffinierten Weg gefunden, seine realistische Sicht der Beziehungskomödie zu erläutern.

Es ist ein in seiner spielerischen Art einzigartiges Stück, das Humor, Erotik und Feminismus in wunderschöner Sprache verbindet. Ein Genuss, der bei aller Heiterkeit auch einen melancholischen Grundton hat, zum Beispiel durch die Tropfen Schwermut und Bitterkeit in Hippolyte und die reumütigen Tränen von Célidée über ihren eigene, wohl niemals endgültig zu besiegende Leichtfertigkeit.

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