William Shakespeare

Wolfgang Swaczynna übersetzt William Shakespeare

Wolfgang Swaczynna ist einer der erfolgreichsten und meist gespielten Shakespeare-Übersetzer unserer Zeit. Swaczynna wird für seine große Erfahrung mit Shakespeare und seine literaturwissenschaftliche Kompetenz geschätzt, aber auch dafür, daß er Regisseuren und Schauspielern ein Höchstmaß an künstlerischer Freiheit läßt, sowohl was die Interpretation als auch was Sprache und Sprechbarkeit betrifft. Da er selbst auch Schauspieler ist, weiß er um die Notwendigkeit theatralischer und leichter Sprachführung.

Swaczynna hat sich zum Ziel gesetzt, dem Original und der originalen Diktion der Texte so nahe wie möglich zu kommen. Unter Einbeziehung der wissenschaftlichen Textkritik von Shakespeares Zeit bis heute, stützt er sich deshalb prinzipiell auf Erstdrucke.

Wie man weiß, sind die Werke Shakespeares nicht als Handschriften überliefert, sondern ausschließlich als Druckausgaben. Diese Ausgaben sind auf vielfältige Weise zustande gekommen: Manchmal repräsentieren sie den Originalentwurf des Autors, oft sind sie aber auch auf Grundlage einer Proben- oder Aufführungs-Mitschrift entstanden oder als Druckausgabe der Theatertruppe nach erfolgter Aufführung. Später wurden diese ersten Ausgaben vervollkommnet, was heißen will, sie wurden so korrigiert, wie man annahm, daß es Shakespeares Intentionen entsprach. Eine Sicherheit, was die Authentizität der Texte anbetrifft, haben wir bis heute nicht. Da ein Erstdruck aller Wahrscheinlichkeit nach der Lebendigkeit des in der Vorstellung gesprochenen Textes am nächsten kommt, zeichnen sich Swaczynnas Übersetzungen durch große Theatralität aus. Er sagt:

"Das wichtigste Ziel des Übersetzers, neben äußerster Genauigkeit, ist unmittelbare Verständlichkeit: Shakespeares Texte sind zum Hören geschrieben und müssen beim einmaligen Hören sofort verstanden werden. Das heißt keineswegs, daß komplizierte Strukturen versim­pelt werden: auch Kompliziertestes kann durchaus verständlich sein. Durchweg vermieden wurde aber jegliche Art von Jargon, es sei denn, daß auch im Original so etwas wie Jargon steht."

In den Vorbemerkungen zu seinen Übersetzungen weist Swaczynna immer wie­der auf die Wichtigkeit shakespearescher Strukturen, der Rhythmen und der Interpunktion für eine sinngebende Übertragung hin:

"Akt- und Szeneneinteilungen gehören in keinen Shakespeare-Text, erst recht nicht Schauplatzangaben – die ersten Spuren davon finden sich erst in der Folio, spätere Herausgeber haben dann den Unsinn, der bis heute fortlebt, vollendet. Die Bühne Shakespeares war bekanntlich ein Simultanschauplatz, die Handlung lief ohne Unter­brechung ab, auch die oft vermuteten 'Schilder mit Ortsangaben‘ hat es nicht gegeben, ein Shakespeare-Stück braucht sie nicht, notfalls werden Ortsangaben im Dialog mitgeliefert. Der kunstvolle Organis­mus eines Shakespeare-Stückes wird überhaupt erst deutlich, wenn die Szenen unmittelbar aneinander anschließen, sich gelegentlich  gar überschneiden.

Der shakespearesche Versrhythmus ist längst nicht so glatt und regel­mäßig, wie deutsche Übersetzungen seit Schlegel uns glauben machen wollen. Je später die Stücke entstanden sind, um so rauher und synko­pischer wird der Vers, der schließlich fast in Prosa übergeht. Beto­nungen gegen den Jambenrhythmus sind sehr häufig und ein typisches Merkmal Shakespeares; Zäsuren innerhalb eines Verses sind legitim, und immer wieder finden sich dreisilbige Wörter, die wie zweisilbige behandelt werden. Eine Übersetzung, die dem Original mit allen seinen Eigenheiten möglichst nahe zu kommen versucht, wird also nicht mehr schulgerechte Verse aufweisen, als das Original enthält. Auf die bühnengerechte Sprechbarkeit wurde allerdings größter Wert gelegt, nur erwarte man nicht Einfachheit, wo das Original kompliziert ist: Shakespeares Dramen sind keine Konversationsstücke.

Ungewohnt ist die Zeichensetzung. Zur Zeit Shakespeares gab es keine verbindlichen Regeln; man gliederte z.B. die Theatertexte nach dem Sprechrhythmus, oft wahrscheinlich erst bei den Proben. Erstdrucke haben bei allen ihren Mängeln einen bisher kaum gewür­digten Vorzug: sie bieten in den meisten Fällen die Textgliederung der Shakespeare-Bühne bzw. des Autors. Bei genauer Prüfung der Zeichensetzung ist man verblüfft, wie delikat und sinnvoll oft der Text gegliedert ist. Moderne Ausgaben bieten da meistens ein ganz falsches Bild, denn die regulierte Zeichensetzung zerstört die Diktion und den organischen Rhythmus der Texte. Meine Übersetzungen bieten zum ersten Mal den Text streng nach der Zeichensetzung des gewählten Erstdruckes (Quarto bzw. Folio). Man lese die Satzzeichen wie musi­kalische Pausenzeichen, die Reihenfolge der Gewichtigkeit ist Komma, Semikolon, Gedankenstrich, Punkt. Eingeklammerter Text ist als eine Art Einschub zu verstehen, ein Punkt innerhalb einer Rede bezeichnet fast immer irgendeine Aktion auf der Bühne. Niemand wird ernsthaft verlangen, man solle sich nun starr wie ein Automat an diese Gliederung halten; aber als Gerüst, als Grundlage zur Erar­beitung des Textes wird sie sicher dienlich sein, dienlicher als eine Gliederung nach der Grammatik."

Jedes Stück erhebt Anspruch auf einen ganz eigenen Zugang, und so stellen sich auch die Besonderheiten und Schwierigkeiten jeweils neu. Ein paar Beispiele aus Swaczynnas Vorworten zu seinen Ausgaben machen das deutlich:

"Die Tragödie von Hamlet, Prinz von Dänemark"

"Wir haben mit den drei Druckfassungen des 'Hamlet‘ eine ungeheure Menge Material, das unter Shakespeares Namen veröffentlicht ist, wir haben aber keine Ahnung, wie das fertige Stück ausgesehen hat oder aussehen sollte. Einen 'Hamlet‘ aus einer Kombination von 2. Quarto und Folio herzustellen, wie es bis­her die Gewohnheit aller Herausgeber war, und ihn als fertiges Stück auszugeben, ist zumindest fragwürdig: eine sorgfältige kritische Ausgabe müßte alle Texte enthalten, selbstverständlich auch den der 1. Quarto. Ein Übersetzer, der ein rundes, spielbares Stück liefern will, kann sich nicht damit begnügen, Materialien anzugeben, er ist gezwungen, den unvollendeten Text abzurunden bzw. zu rekon­struieren. Das bedeutet, daß man der Arbeitsweise Shakespeares nachspüren muß, ausgehend von der 1. Quarto. (...) Die vorliegende Übersetzung ist kein 'eingerichteter‘ Text, d.h. Kürzungen sind nur in Ausnahmefällen vorgenommen worden. Jede weitergehende Kürzung wäre bereits eine Interpretation und muß natürlich dem Regisseur überlassen bleiben."

"Die Tragödie von Romeo und Julia"

"Die Übersetzung versucht, das Lyrische des Textes in Schranken zu halten, zugunsten seiner dramatischen Qualitäten. Deshalb wurde bis auf wenige Ausnahmen auf den hier noch sehr reichlichen Reim verzichtet. Vor allem betont die Übersetzung die von Shakespeare schon sehr deutlich angelegte Charakteri­sierung der Figuren: der alte Capulet, die Amme und Mercutio sind die ersten fast realistisch gezeichneten Gestalten in Shakespeares Werk; erstaunlich ist daneben auch Julias gerade und direkte Art im Gegensatz zu Romeos ewig sich über­schlagender Schwärmerei."

"Die Tragödie von Othello, dem Mohren von Venedig"

"Die Übersetzung folgt sehr getreu dem eingerichteten englischen Text, speziell auch allen seinen rhythmischen Besonderheiten; Shakespeare geht hier bereits sehr frei mit dem Blankvers um; je nach der dramatischen Situation, bei knapper Rede und Gegenrede ist der Rhythmus oft ganz frei – der regelrechte fünfhebige Jambus ist hier schon fast eine Ausnahme."

"Der Sturm"

"Der Epilog, den Prospero an das Publikum richtet, ist im Original in gereimten Kurzversen geschrieben; die Übersetzung wählt eine Prosafassung, da anders der genaue Textsinn nicht wiederzugeben ist, der hier entscheidender ist als die Form. Alle Versuche, die Versfassung zu erhalten, enden unweigerlich bei einem Märchenton (...), indes schien es dem Übersetzer überaus wichtig, dieses heiter-bitter-realistische Stück nicht als Märchen enden zu lassen..."

"Die Geschichte von Troilus und Cressida"

"Eine Übersetzung, deren Hauptzweck es ist, einen sinnvollen spielbaren Bühnentext zu liefern, kann sich bei diesem Stück um das Problem des fehlenden Anfangs nicht herumdrücken, auch wenn klar zu sein scheint, daß dieses Problem auf Shakespeare selbst zurückgeht. Deshalb wird hier der Vorschlag angeboten (selbstverständlich für keinen Regisseur bindend), den Familienrat der Trojaner an den Anfang zu setzen; die weitere Szenenfolge ergibt sich dann aus der shake­speareschen Dramaturgie nahezu zwangsläufig."

"Leben und Tod König Richards des Zweiten"

"Für jeden Übersetzer ist es sehr schwer, die hochstilisierte Kunstform dieses Textes getreu wiederzugeben und dabei immer klar, verständlich und bühnen­gerecht zu bleiben. Zur Erleichterung wurde deshalb auf den hier noch sehr häufi­gen Reim weitgehend verzichtet."


 





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