Harfe und Hund

Kerstin Hensel
Harfe und Hund
Vier Kabinettstücke
2 D, 2 H, Verw- Dek
In vier Kabinettstücken spielen vier Menschen auf der Klaviatur der Liebe: Die Dirigentin und Komponistin Viola Seidel, der Allround-Geschäftsmann Leon Odenthal, die weltberühmte Harfenistin Winnie Hollatschek, sowie der Kanalarbeiter Peter Cock. Was alle vier eint ist das, was sie gleichsam trennt: die Unmöglichkeit, in einer erfüllten Partnerschaft zueinander zu finden.
Im Reigen, in dem sich Ängste, Sehnsüchte, Lügen, Neid, Missverständnisse, falsche Verheißungen, kriminelle Energien, Erwartungsdruck, Eitelkeit, Egoismen, Erlebnissurrogate oder übersteigerte Ansprüche die Hand reichen, bewegen sie sich nach einem der verhängnisvollsten Rhythmen unserer Zeit: dem Missklang des Nebeneinander-her-Existierens, der aus schier unauflösbaren Gegensätzen zu erwachsen scheint: wie dem zwischen Harfe und Hund. Und doch ist dieser Reigen ein Miteinander, aus dem die Beteiligten nicht einfach heraustreten können.
Die Verunsicherung der Liebesbedürftigen durch die Herausforderungen der sich auflösenden alten Geschlechterrollen und Wertemuster ist groß. Jeder hat mit sich zu tun: ob Kunst- und Geschäftskarriere oder, wie bei Cock, soziales Außenseitertum ‒ stets bleibt Mangel an Zeit zum Leben, d.h. an wirklicher Liebe. Unerfüllte Sehnsucht nach einem Menschen, der einem zugehört, stört die Wahrnehmung der Realität und lässt sie ins Monströse kippen. So werden zum Beispiel hochfliegende Träume in die normierte Sprache einer digitalen Partnervermittlung transformiert, die Streben eines Bauzaunes zu Harfensaiten, ein Ermordeter zu einem Untoten.
Doch das Begehren des anderen Menschen/Zustands ist auch Motor unbedingten Weiterlebenwollens. Es ähnelt der Macht der Musik: diesem schönen Rausch, der Zuversicht in sich trägt.

Kerstin Hensel verzaubert und irritiert mit ihrer Kunst, Realität heiter und gespenstisch bedrohlich erfahrbar zu machen. Mit skurrilen Überzeichnungen schafft die Autorin ein Tableau Vivant von vereinsamten und verzweifelt nach Glück suchenden Figuren. Drei Personen, die sich in den höchsten Sphären des Musiklebens profilieren müssen, scheinen dieses Glück schließlich gefunden zu haben: durch einen Abstieg ins infernalische Reich des Kanalarbeiters Cock. „Der Blick muss durch die Clownskleider auf die Knochen gehen.“


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