Mein Bruder

Rolf Schneider
Mein Bruder
Die Correspondence zwischen
Heinrich und Thomas Mann
2 H, 1 Dek
HEINRICH Als mein Bruder nach den Vereinigten Staaten übersiedelt war, erklärte er schlicht und recht: „Wo ich bin, ist die deutsche Kultur.“

THOMAS Die Tatsache, daß dieser einer der größten Schriftsteller deutscher Sprache war, wird über kurz oder lang auch vom widerstrebenden Bewußtsein der Deutschen Besitz ergreifen.

HEINRICH Sein Bedürfnis war, neu und tief, aber für eine Gesamtheit von Zeitgenossen neu und tief zu sein.

THOMAS Die Sache ist, daß er, obgleich von zarterer Körperbeschaffenheit, seelisch immer viel ausgeglichener war als ich und dabei politisch viel früher auf dem Plan.

HEINRICH Mein Bruder Thomas.

THOMAS Mein Bruder Heinrich.

Die Brüder Thomas und Heinrich Mann waren zeitweilig politische, immer aber literarische Gegenpole. Ihr Briefwechsel von 1917/18 gehört zu den Glanzlichtern deutscher Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert, seine Themen sind von unverminderter Aktualität: Krieg und Frieden, Europa und Vaterland, die lust- und leidvolle Kontroverse über das Deutsch-Sein. Kreuzen die ungleichen Brüder dabei die Klingen, dass die Funken schlagen, so nimmt Rolf Schneider den dialogischen Gestus des Briefe-Schreibens auf und verwandelt ihn in das, was er insgeheim von Anfang an war: großes Theater.

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