Tubus. Tosca. Maligne
Gert HeidenreichTubus. Tosca. Maligne
Ein Deutscher Akt
1 D, 5 H, 1 Dek
Es röhrt und röchelt, leise summend und schlürfend arbeiten die Pumpen und Drainagesauger. Wir sind auf einer Krankenstation, Lungenabteilung. Drei Patienten ringen frisch nach der Operation um ihr Leben: Studienrat Drahger (Lungenkarzinom), Bildhauer Marott (Lungenemphysem) und Soldat Mehlwill (Lungensteckschuss). Es ist Zeit für die allabendliche Visite, doch dürften die Behandlungsmethoden von Schwester Siglinde und Professor Riflano von keiner Krankenkasse übernommen werden. Denn mit ihrem Auftritt erst beginnt für die drei atemlosen Patienten der eigentliche Alptraum.
„Dieses traurige Ding soll Sie schnaufen lassen?“, fragt der Professor seinen Patienten Drahger und hält ihm den schmutzigen Lappen vors Gesicht, der mal seine Lunge war. Die Patienten winden sich und wimmern, bitten und betteln, doch Riflano ist nicht der fürsorgliche und nachsichtige Herr Doktor, sondern der große Zampano, Meister der Thoraxchirurgie und jüngstes Gericht in einem, der für ihr Winseln nur Verachtung übrig hat und sich einen makabren Spaß daraus macht, um Restlebenszeiten zu feilschen. Schwester Siglinde, die sich zunächst in einem Akt sexueller Nächstenliebe der drei Todgeweihten annimmt, ist schließlich vom Mitleid derart überwältigt, dass sie ihre eigene Lunge zur Spende freigibt.
In „Tubus. Tosca. Maligne“ inszeniert Gert Heidenreich die maligne Untergangsrevue eines Landes, das auf dem letzten Loch pfeift. Was dem tuberkulösen Deutschland bei Thomas Mann der mondäne Zauberberg ist, wird bei Heidenreich zum zynischen Infernal sinnlos blickender und pumpender Apparaturen im High-Tech-Krankenhaus – ein theatraler Blick in den offenen Brustkorb einer intubierten Gesellschaft, deren Ideale langsam den Erstickungstod sterben. Tosca-Liebhaber Riflano gibt dabei den Folterknecht Scarpia, während Schwester Siglinde schließlich durchs Fenster abgeht. Und die drei Patienten? „Wir sterben einfach weiter, als wär’ nix gewesen.“
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