Magda

Gert Heidenreich
Magda
Finis Tertii Imperii
Stück in 3 Akten
4 (8) D, 6 (12) H, 1 Dek
Die letzten Stunden des "Tausendjährigen Reiches" im Bunker unter der Reichskanzlei in Berlin. Die Stunden, bevor Magda Goebbels ihre sechs Kinder im Alter von 4 bis 12 Jahren vergiften wird. Das "Finis tertii imperii" ist keine Götterdämmerung, es sind, unter dem monströsen Schrecken draußen, Stunden einer entsetzlichen Ehe im Innern des verbliebenen Machtbereichs.

Der notorische Lügner Joseph, der seinen eigenen Parolen verfallen ist und im Endstadium der Selbstdarstellung sich seiner Jugend und seiner Größe vergewissern muß: Er ruft sich selbst zuhilfe - den jungen Helden "Michael", der er einst zu sein vorgab, dann den "Goebbels" auf der Höhe der Macht. Und Magda - die das Spiel längst durchschaut hat und wenigstens hinreichend Mut besitzt, sein Ende herbeizuführen, hat es nun mit drei Goebbels-Gestalten gleichzeitig zu tun, drei Schwadronierern, Lügnern, Aufschneidern. In diesem Endspiel verwendet Gert Heidenreich die "assoziative Dramaturgie", die er bereits in seinem Stück >Strafmündig< verwandt hat: Bühnenfiguren assoziieren sich weitere Bühnenfiguren herbei. So findet sich im Bunker eine kuriose Gesellschaft ein. Zarah Leander, Lida Baarova, Quax der Bruchpilot, stabilisierende Unterhaltungskünstler der Nazis - und, von Magda als leibhaftiges, verdrängtes Wissen eingeschleppt, der "Jud Ewig", den die Massenmörder nicht mehr los werden. Er baut während des ganzen Stückes an einem Lagerzaun .mitten durch den Bunker und bittet Magda am Ende um das Leben der Kinder.

Magda ist eine widersprüchliche und rätselhafte Figur: Die emanzipierte, reiche, attraktive Frau tat sich einst mit dem hinkenden, krankhaft ehrgeizigen Berliner Gauleiter Goebbels zusammen, der ihr sein Debut auf dem glatten Parkett der Diplomatie verdankt. Die fanatische Nationalsozialistin läßt sich zur Mustermutter des 'Dritten Reiches' verklären. Ihr Mann betrügt sie, wann immer ihm sich die Gelegenheit bietet, demütigt sie in unerträglicher Weise.

Am Ende bricht sie, mit den Zügen einer Medea ausgestattet, ihrem Mann alle verbliebenen Brücken zum Leben ab. In einem letzten bitteren Ehestreit werfen sich die Partner ihre weitreichenden jüdischen Verbindungen vor. Dann leitet Magda den Untergang ein. Durch die Ermordung der Kinder zwingt sie Goebbels, den Zauderer, zum Selbstmord. Die glorifizierte Mutter, die nur eines wollte: in Hitlers Nähe sein, vollzieht den Kindermord als paradigmatische Figur für die Tödlichkeit der Nazi-Ideologie.

Auf dem Grat zwischen Furcht und Komik, Schrecken und Lächerlichkeit, wird die letzte große Entschuldigungslegende der deutschen Geschichte einer Prüfung unterzogen: Man habe sich dem "Magier" Goebbels nicht entziehen können.

Im Bunker, ohne seine "gottbegnadeten" Schauspieler und Sänger, ohne die ihm zujubelnden Massen - die sich ihn als Redner schufen und ihm die Wellen der Begeisterung entgegenwarfen, auf denen er wie ein Surfer zu reiten verstand - wird der angebliche "Dämon" zur erbärmlichen Figur. Seine beiden jüngeren Ich-Gestalten, die er als Spiegelungen der eigenen vermeintlichen Größe zuhilfe gerufen hatte, überstehen die "Spießbürgerdämmerung" unbeschadet - sie machen sich auf in unsere Gegenwart.


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