Der Wetterpilot
Gert HeidenreichDer Wetterpilot
Stück in 5 Akten
3 D, 3 H, 3 Dek
Er hat nur die passende Lücke gesucht, durch die dann die Bombe fiel. Weder hat er den Befehl zum Abwurf gegeben, noch hat er das Ziel ausgesucht, er hat noch nicht einmal den Knopf gedrückt, um „Little Boy“ aus der Verankerung des B-29-Bombers „Enola Gay“ zu lösen. Er hat lediglich ein Loch in der Wolkendecke über Hiroshima gesucht, durch das die vier Tonnen schwere Atombombe fallen kann – und gefunden. Und doch ist Aufklärungspilot Claude Robert Eatherly sein Leben lang nicht mehr davon losgekommen, dass mithilfe seiner Präzisionsarbeit auf Anhieb 200.000 Menschenleben ausgelöscht wurden. Nach Sühne suchend, beging er nach dem Krieg einige bizarre Raubüberfälle, wurde jedoch nicht bestraft, sondern eingewiesen in die Psychiatrie.
Auch Ron Shepard, der Protagonist in Gert Heidenreichs „Der Wetterpilot“, hat bei der US Air Force gedient. Seine Bomben fielen zwar nicht über Hiroshima und Nagasaki, sondern über Berlin und Düsseldorf, aber auch er wird verfolgt von seinen Taten. Ron begegnet dem realen Eatherly in der Nervenheilanstalt, wo sich beide miteinander anfreunden. Als Eatherly stirbt, muss Ron allein mit der Schuld weiterleben und kehrt zurück zu seiner Familie nach Texas. Bruder Vance und Schwägerin Mattie, die seit Jahren den todkranken Vater versorgen, zeigen allerdings wenig Verständnis für Rons moralische Skrupel. Im Gegenteil: Als Ron sich in seinem Verlangen nach Sühne zunehmend abschottet und zu einem Kreuzzug gegen eine „Normalität“ aufruft, die den Wahnsinn der Bombe toleriert, droht das fragile Familiengefüge zusammenzubrechen…
„Computer errechnen den Kriegsfall, Computer bestimmen den Angriff. Dazwischen gibt es ein paar Minuten für Menschen“, heißt es im „Wetterpiloten“. Darin hallt nicht nur Friedrich Dürrenmatts berühmtes Diktum von der „Wurstelei unseres Jahrhunderts“ nach, in der es „keine Schuldigen und auch keine Verantwortlichen“ mehr gibt. Vielmehr zieht Gerd Heidenreichs Stück alle tragischen Konsequenzen aus diesen paar Minuten, in denen Ron Shepard zwar Schuld auf sich lädt, eine Schuld jedoch, für die es keine Strafe gibt – und damit auch keine Hoffnung auf Erlösung.
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