Luther
John OsborneLuther
(Luther)
Stück in 3 Akten
Deutsch von Hermann Stiehl
1 D, 11 H, St, Verw - Dek
Er hat die Bibel der Deutungshoheit der Papstkrone entrissen, dem leisen Gemurmel der Klöster und den juwelenbesetzten Gewändern. Stattdessen hat Martin Luther aus der Heiligen Schrift ein Buch für jedermann gemacht, den Menschen jenseits der Ordensmauern und Paläste eine Sprache gegeben und dem Glauben den Weg geebnet mitten ins Volk. Was zuvor Unterdrückung der Vielen war, ist nun Gewissenssache des Einzelnen. Damit hat Luther Europa das Mittelalter ausgetrieben und die Tore weit aufgestoßen für jene Welt, die wir heute kennen.
Dennoch ist Luther kein Held im klassischen Sinne. John Osborne führt uns Luther vielmehr als Zweifler vor, nicht nur als Zweifler an Papst und Kaiser, sondern vor allem als Zweifler an sich selbst, als einen Getriebenen, zerrissen zwischen Geist und Welt, zwischen eigenen Idealen und väterlichen Erwartungen, zwischen Hoffnung auf Erlösung und Einsicht in die eigene Fehlbarkeit. Sein Kampf gegen das hohle Glücksversprechen der Kirche, gegen Ablasshandel und Arroganz der Macht ist hier nicht nur Kampf gegen eine veraltete Weltordnung – es ist zugleich ein Kampf widerstrebender Kräfte im Inneren Luthers selbst.
Osbornes Stück holt den großen Kirchenreformator ganz nah an uns heran: Die Möglichkeit des Scheiterns und Irrtums begleitet Luther immerzu, sei es bei seiner ersten Messe, beim historischen Thesenanschlag zu Wittenberg oder beim Verhör durch die Schergen des Papstes und den Reichstag in Worms. Darin aber, dass uns Osborne seinen Helden in all seinen Schwächen und Fehlern zeigt – etwa bei der folgenreichen Kehrtwende gegen die Bauernaufstände –, liegt die bestechende Modernität von „Luther“.
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