Die Heiligung Johannas

Rolf Schneider
Die Heiligung Johannas
Komödie in einem Akt
7 D, 4 H, 1 Dek
Ein Gedankenexperiment: Johanna von Orléans ist nicht auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Ihr spektakulärer Feuertod auf dem Marktplatz von Rouen war vielmehr nur eine Inszenierung für die Massen, tatsächlich hat Frankreichs Nationalheldin zuvor schon dem Druck der Kirche nachgegeben und sich in die sichere Anonymität eines Klosters zurückgezogen. Hinter der glänzenden Fassade einer unbeugsamen Freiheitskämpferin erscheint sogleich das Antlitz eines Menschen, einer Frau mit Ängsten und Schwächen.

Achtzehn Jahre nach dem offiziellen Tod Johannas begibt sich die Schäferstochter Therese auf die Spuren ihrer Heldin. Sie möchte jene Orte sehen, die Johanna sah, und jene Wege gehen, die Johanna ging. Doch als sie in einem Karmeliterinnenkloster Unterschlupf sucht, geschieht das Unvorstellbare: Sie spürt die leibhaftige Johanna auf, verborgen unter der Tracht der Ordensschwestern, als einen Schatten ihrer selbst – das Weltbild der jungen Frau droht zu zerbrechen. Johanna aber, tief beeindruckt von Thereses inbrünstigem Glauben an die Ideale der Freiheit, überwindet ihre Resignation und beschließt, den Kampf wieder aufzunehmen...

Das Spiel, das Rolf Schneider mit der Geschichte betreibt, ist niemals bloß ein Spiel, es dient immer der historischen Erkenntnis. Den Mythos der Johanna von Orléans auf ein menschliches Maß zu reduzieren, heißt hier, ihre Leistungen als Ikone der Emanzipation und als Vorbotin der revolutionären Gedanken von Freiheit und Gleichheit überhaupt erst richtig zu würdigen. Dafür legt sich Rolf Schneiders scharfzüngige Komödie auch mit König und Kurie an. Denn um sich eine unliebsame Märtyrerin vom Leib zu halten, bleibt ihnen am Ende nur eines: die Heiligung Johannas.


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