Ein Triptychon
Edna O'BrienEin Triptychon
(Triptych)
Stück in 24 Szenen
Deutsch von Michael Wachsmann
3 D, 1 Dek
Ein Triptychon: ein Dreierbild, bei dem uns der Maler nicht ein charakteristisches Einzelporträt liefern will, sondern auf das Sichtbarmachen von Konstellationen zwischen Personen abzielt. Die Technik überträgt Edna O'Brien auf ihr Stück.
Dabei muß sie dem Individuum nichts von seiner Einmaligkeit und Unverwechsel-barkeit nehmen, auf die jeder Mensch Anspruch macht, aber sie setzt ihn in einen Rahmen, in ein Geflecht von Beziehungen. Die allerdings sind alles andere als einzigartig: sie sind so wenig originell wie "das Leben" eben, auch, ist - weil die Grundmuster, nach denen es abläuft, allenfalls Varianten zulassen.
Darum schickt die Dichterin die Ehefrau Pauline als EHEFRAU durchs Stück, die Geliebte des Mannes der Ehefrau, Clarissa, als GELIEBTE, und die Tochter von Ehefrau und -mann, Brandy, als TOCHTER.
Daß die Drei für sich selbst dabei vollkommen unverwechselbar persönlich, sozusagen "im eigenen Namen" handeln, weil jedes Leben von dem, der es lebt, als sein einmaliges eigenes erlebt wird und werden muß: in dieser Ironie liegt die scharfe Grundwürze der Konstruktion.
Sie ist der entscheidende Grundzug dieses eleganten konzentrierten Dramas. Das WAS, also die Geschichte, wird schon durch die Rollenbezeichnungen als in den Grundzügen jedermann/frau bekannt vorausgesetzt: Als beträfe es nicht jeden, also auch einen selbst, sondern immer bloß die andern, nennt man gern Klischee, was unentrinnbares und ständig sich wiederholendes Grundmuster der Menschenexistenz ist.
Die Raffinesse steckt im WIE. Da zeigt sich O'Brien als ebenso geistvolle wie scharfe und erbarmungslose Analytikerin von Gefühlen, die so wahr erlebt werden wie sie falsch klingen. Sie zeichnet Figuren, die fortwährend und höchst dramatisch einander über einander aufklären – aber an der Selbstaufklärung scheitern: an den Fallen, die sie sich selber stellen, den Lügen, mit denen sie erlebte Ängste und Enttäuschungen bis zur Erträglichkeit übermalen, an der Poetisierung, die Daseinssinn produzieren muß, weil die schiere Banalität der baren Fakten, unüberhöht, allzu niederschmetternd wäre.
Edna O'Briens Kunstgriff, um die Figuren zu dieser rücksichtslosen Selbstentäußerung zu treiben: der gemeinsame Bezugspunkt der Frauen, über den sie sich und ihr Verhältnis untereinander definieren, der MANN also, der Ehegatte, Geliebte und Vater, bleibt ausgespart. Er ist der perspektivische Fluchtpunkt in diesem Triptychon. Für den Zuschauer gewinnt er Gestalt nur als Projektionsfigur der Drei, über den sie sich, ihre Wünsche, ihre Träume formulieren.
Daß er sich am Ende auf eine Weise davonmacht, die ihnen allen und jeder für sich die Möglichkeit läßt, daraus ein auch im Schrecken schönes Bild zu formen, mit dem sie weiterleben können, paßt ins "Bild". Edna O'Brien hat es mit feinem, hinterhältigem, bösem Witz gemalt.
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