Brooklyn Boy

Donald Margulies
Brooklyn Boy
(Brooklyn Boy)
Stück in 2 Akten
Deutsch von Bernd Samland
3 D, 4 H, Verw - Dek
Alles bestens für den Romancier Eric Weiss: Ricky aus Brooklyn hat es geschafft. Er hat sich von den Fesseln seiner kleinbürgerlich-jüdischen Kindheit und Jugend ["Mein Vater ist nur ein Verkäuferle in einem Schuhgeschäft..."] befreit. Sein dritter Roman "Brooklyn Boy", der dem Stück den Titel gibt und eben jenes enge Kleinbürgermilieu, aus dem er stammt, in Literatur verwandelt hat, steht auf der Bestsellerliste der "New York Times". Mit dieser frohen Botschaft und einem Exemplar des Buches kehrt er nach Brooklyn zurück und besucht seinen alten, kranken Vater im Maimonides Hospital. Natürlich, wie es sich für einen guten Sohn gehört, um sich nach Papas Wohlergehen zu erkundigen, sich um ihn zu kümmern. Aber auch, um sich ein spätes väterliches Lob abzuholen. "Seit wann gibt es einen Platz Elf auf der Bestsellerliste?" ist Mannys sarkastisch-skeptische stachlige Abwehrreaktion. Zwischen Vater und Sohn ist offenbar wohl schon lange nicht alles bestens. Und während der Vater sich aufs Ende gefaßt macht, bereitet sich Sohn Eric auf die Fortsetzung seiner Lesereise und den Besuch Hollywoods vor; sein Roman soll verfilmt werden.

Doch vor das erfolgreiche Happy Ending haben die Götter Prüfungen gesetzt, Stationen, die es zu bewältigen gilt:
   ob im Krankenhaus das Zusammentreffen mit seinem alten Schulfreund Ira Zimmer: Der besucht seine kranke Mutter, erkennt sich in dem Roman wieder, ist inzwischen Familienvater und ziemlich streng religiöser Jude geworden, hat eher widerwillig den väterlichen Imbiß, sprich Delikatessen, übernommen und sich in seinem Leben eingerichtet; Zimmer gemahnt an die alten Zeiten, die Ricky ganz anders in Erinnerung hat;
   ob in der ehemals ehelichen Wohnung mit Nina, seiner Noch-Frau, selbst Schriftstellerin, aber ohne Bestsellererfolg, die die Scheidung eingereicht hat und partout nicht mit ihm zu Abend essen, sondern die Wohnung von seinem Kram geräumt sehen will;
   ob im Hotelzimmer in Hollywood mit dem weiblichen Fan Alison, der nach der Romanlesung Rickys mit aufs Zimmer gekommen ist, nur den zukünftigen Erfolg im Filmgeschäft im Kopf hat und nicht genau weiß, soll sie oder soll sie nicht, und Ricky weiß es auch nicht, schickt sie dann aber nach Hause;
   ob in Hollywood im Büro der Produzentin des geplanten Films, Melanie Fine, selber jüdisch, die aber den jüdischen Aspekt im Sinne eines Main-Stream-Interesses gedämpft sehen möchte und den blonden TV-Serienstar Tyler Shaw für die Hauptrolle präsentiert, der sich heftig mit Hilfe seines Friseurs – dunkle Locken – und eines Dialekt-Coachs auf die Rolle vorbereitet hat und ganz aus dem Häuschen ist, den Autor kennenzulernen (ohne den Roman gelesen zu haben). Und wo es bei der Lesung des Drehbuchs mit verteilten Rollen an der kritischen Stelle – der Auseinandersetzung mit dem Vater im Friseursalon, als der junge Eric Brooklyn in Richtung College verläßt – bei Ricky zur emotionalen Krise kommt und er
fluchtartig das Büro verläßt.

Wohin?

Natürlich in die Wohnung seines inzwischen verstorbenen Vaters, die ausgeräumt werden muß: Letzte Station, letzte Prüfung. Und dort taucht nicht nur Schulfreund Ira auf, um ihm bei der Trauerarbeit – der Schiwa – beizustehen. Es erscheint ihm auch sein Vater, geht mit ihm durch die Zimmer, öffnet sein Herz, so gut er kann. "Dad, warum konnten wir uns nie so unterhalten, als du noch am Leben warst?" ist Erics Frage an den Vater. Doch der sagt nur achselzuckend: "Das Leben ist halt nicht so... Du wärst nicht du, wenn wir uns unterhalten hätten, du wärst ein anderer...." Und ist verschwunden. Eric Weiss bleibt allein zurück, findet den Zettel, den ihm Ira dagelassen hat, setzt die Jarmulke auf und liest vom Zettel das Kaddisch. Ende.

"You Can’t Go Home Again"/"Es führt kein Weg zurück" So Thomas Wolfe mit seinem klassisch gewordenen Roman und Titel (nein, nicht Tom Wolfe). "Nicht versöhnt" nannten die Straubs ihre Böll-Verfilmung von "Billard um halb zehn". Gibt es den oft beschworenen Dritten Weg, der persönliches Glücksstreben, den Wunsch nach Zukunft, mit den Wurzeln, vereint? Donald Margulies liefert mit "Brooklyn Boy" einen dramatisch-komischen mehrstimmigen Vorschlag, ganz selbst und frei und trotzdem der eigenen Geschichte treu zu sein.

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