Armer Beck
Joanna LaurensArmer Beck
(Poor Beck)
Stück in 19 Szenen
Deutsch von Raphael Urweider
2 D, 2 H, Verw - Dek
Ein dunkler, schmutziger Tunnel. Drei Personen tasten sich vorsichtig voran. Myrrha, eine junge Frau, wird von ihren Eltern, dem blinden Cinyras und Cenchreis ermahnt, nichts zu berühren, Handschuhe zu tragen. Alles birgt Tod.
Nach einem Atomkrieg haben sich die wenigen Überlebenden in Schächte und Stollen unter der Erde zurückgezogen und führen ein kümmerliches Dasein mit dem Wenigen, was sie retten konnten. Die Sprache der Figuren ist geprägt von der Horizontlosigkeit des Stollendaseins und dem Schock nach der Katastrophe. Gesellschaftliche Regeln und Moralvorstellungen sind aufgeweicht, ein wirkliches Leben scheint kaum mehr möglich.
Ein Wörterbuch, das Myrrha findet, erscheint ihr, die unter der Erde geboren wurde und nur die Dunkelheit kennt, wie eine Bibel, die alles beinhaltet, was es auf der Erde geben sollte. Sie stellt ihren Eltern andauernd Fragen über die Dinge, die es früher gegeben hat.
Die Erdoberfläche wird für die im Untergrund Lebenden zum Himmel, zum Heilsversprechen.
Auch Cinyras, der bei der Katastrophe sein Augenlicht verloren hat und dessen Liebe zu seiner Frau Cenchreis erloschen ist, glaubt, dass er das, was ihm fehlt, nur zurückbekommt, wenn er an die Oberfläche zurückkehren kann. Er ist eine Art Politiker, der seinen Anhängern verspricht, sie nach Oben zurückzuführen.
Myrrha ist voller Bewunderung für ihren Vater, der sich nicht mit seinem Schicksal abfindet. Obwohl sie nicht an eine Rückkehr glauben kann, möchte sie für seine Sache kämpfen. Sie liebt ihren Vater, glaubt aber, dass sie dies nicht offen zeigen darf.
Myrrha trifft den Armen Beck, der getrocknete Pflanzen und Leder besitzt und auf eine noch rudimentärere Art spricht als ihr Vater und ihre Mutter. Der Arme Beck behauptet, von der Oberfläche gekommen zu sein, und weckt bei allen Hoffnung auf ein wirkliches Leben.
Der Arme Beck liebt Cenchreis. Auch sie glaubt ihm, dass er von Oben kommt und hofft, dass er sie alleine mit nach oben nimmt.
Myrrha weiß nichts von der heimlichen Beziehung zwischen dem Armen Beck und ihrer Mutter und will, dass Cinyras den Armen Beck kennenlernt, da er helfen kann, die Leute zurückzuführen. Cinyras lässt sich vom Armen Beck überzeugen, dass die Oberfläche wieder sicher sei.
Als Myrrha mit Hilfe des Wörterbuches herausfindet, dass der Arme Beck lügt und die Oberfläche gar nicht kennt, hält der Arme Beck sie davon ab, dies ihrem Vater zu erzählen, weil er sonst ihrer Mutter verraten würde, dass Myrrha Cinyras liebt. Dafür organisiert der Arme Beck ein heimliches Treffen zwischen Myrrha und ihrem blinden Vater.
Zwischen den vier Figuren spinnt sich ein Netz aus Lügen und Sehnsüchten nach unlebbaren Beziehungen und der utopischen Oberfläche.
"Armer Beck" ist faszinierend in seiner klaustrophobischen Grundanordnung, in der die großen alttestamentarischen Themen wie Exodus, Messianismus und Inzest in einer dunklen Zukunftsvision abgehandelt werden.
In den dunklen Stollen sind die Figuren sich ausgeliefert, und ihre Lügen und Halbwahrheiten werden ihnen zwangsläufig zum Verhängnis. Die Sprache ist zugleich kunstvoll degeneriert und archaisch. Sie bringt mit poetischer Genauigkeit die Versehrtheit und den Mangel wie auch die ungelebten und unmöglichen Sehnsüchte der Eingeschlossenen zum Ausdruck.
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