Kaltes Land Heißes Land Heiliges Land

Benedikt Bernhard Haubrich
Kaltes Land Heißes Land Heiliges Land
Elf Szenen
2 D, 3 H, St, Verw - Dek
Moritz Kinder ist still und heimlich in sein weit abgelegenes Heimatdorf zurückgekehrt, das er ebenso still und heimlich eines Nachts verlassen hatte. Er hat sich auf den Dachboden der Scheune des elterlichen Bauernhofs zurückgezogen und möchte nicht entdeckt werden. Kaum ist er angekommen, hört er die Schritte seiner Mutter ...

Für die Dorfgesellschaft ist Moritz ein Ausnahmemensch. Sein Freiheitsdrang, seine Ruhelosigkeit, seine Maßlosigkeit und Unberechenbarkeit üben eine magische Anziehung auf die Bewohner des Dorfes aus. Er erscheint als ein Identitätsstifter par excellence, einer, der ihre eigene innere Unruhe beruhigt. Der Heimgekehrte fühlt sich nicht dazugehörig. Er kämpft mit seiner Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Er begreift sich selbst als Außenseiter. Und je mehr er sich verweigert, desto stärker werden die Integrationsbestrebungen der dörflichen Gesellschaft. Vor allem seine ehemalige Geliebte Elisabeth und seine Mutter Johanna Kinder bemühen sich mit aller Liebe und Zuneigung, die sie aufbringen können, um den Rückkehrer. Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass er sich wieder eines Nachts aufmacht und diesmal das Dorf, seine Heimat, vielleicht für immer verlässt.


ELISABETH

Wie sollt ich das beschreiben,
die Stille und Leere,
die du zurückgelassen,
die Ruhe, die mein Herz sich zu Herzen nahm
und einfach beschloss seltener zu schlagen.
Du bist kalt geworden.
Wirst du mich mal lieben?


MUTTER

Wovor hast denn Angst?


MORITZ

Dass sie mich steinigen.


MUTTER

Unsinn,
alle freuen sich,
dich wieder zu sehen.
Was, wenn das Feuer zurückkommt,
was, wenn wieder alles lichterloh brennt?
Du bist uns der Regen.
Ich bin so allein.


MORITZ

Mit mir bist du nicht zu zweit.


Diese Bindungsversuche stellen für Moritz eine Bedrohung dar. Nur sein alter Freund Bertel wird allmählich ein Zuhause für ihn, weil der ihn nicht unreflektiert auf ein Podest hebt und bewundert. Bertel verzeiht ihm nicht einfach, dass er das Dorf mit unbestimmten Ziel verließ, obwohl Moritz ihm versprochen hatte, ihn mitzunehmen.


BERTEL

Du gehst über Leichen,
um irgendwo anzukommen,
um irgendwo zu haus zu sein.


Bertel und Moritz verbindet ein tiefes Verständnis für einander. Sie teilen die gleichen Sehnsüchte. Beide sind Fremde in der Heimat.

Was bleibt, ist die Frage nach den Gründen von Moritz' Rückkehr. Als es so aussieht, als ob er sich mit seiner Heimat arrangieren kann, bricht seine Vergangenheit über ihn herein, und aus dem geliebten, wiedergefundenen Sohn wird der verstoßene Sohn. Am Ende sind Sorge um Reputation, Ansehen und vermeintlich moralische Integrität doch stärker als Mutterliebe.

Diese Heimatsaga mit ihrer Sprache aus unbekannter Zeit ist ein Stück über die Suche nach Heimat, über die Hoffnung auf Selbstbestimmtheit und das Aushalten von Verantwortung und deren Konsequenzen. Was tun, wenn einem die Luft wegbleibt?


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