Dornröschen und der Scheibenwischer

Curth Flatow
Dornröschen und der Scheibenwischer
Ein modernes Märchen
3 D, 2 H, 1 Dek
Zuallererst ein Geständnis. Die Hauptrolle dieses Stückes spielt ein Schwein. Es ist dramaturgisch äußerst wichtig, ich möchte fast sagen, gewichtig, aber – vornehmlich zur Beruhigung der Direktion und des Inspizienten – kann ich Ihnen mitteilen, dass das Schwein nie persönlich auf der Bühne erscheint. So, jetzt muss ich Ihnen noch den Liebhaber vorstellen: Sebastian Berger, Anfang 20, ist ein sportlicher Typ, schwindelfrei und putzt für einen ehemaligen Kollegen, der einen Hexenschuss hat, die Fenster der Hohmeyerschen Wohnung, die im 4. Stock liegt. Sebastians Vater ist der Chef einer großen Hausreinigungsfirma und war schon früher, das erfahren wir von Frau Schlüter, der Wirtschafterin, ein toller Hecht.

„Dornröschen“, so wird Franziska von Frau Schlüter genannt, liebt Tiere über alles. Um mit möglichst vielen Tieren zusammenzukommen, arbeitet sie auf einem Gutshof nahe der Stadt. Sie striegelt die Pferde, melkt die Kühe, aber am liebsten mistet sie den Schweinestall aus. Franziska ist bildhübsch, aber sehr zurückhaltend, und Margot Hohmeyer, ihrer Mutter, gelingt es nicht, sie an den Mann zu bringen. Franziska lehnt alle ab, obwohl Margot Männer aus höchsten Kreisen anschleppt, weil sie sich selbst liebend gern in diesem Bereich bewegen möchte.

Eberhard Hohmeyer – Damenwäsche en gros – produziert bezaubernde Slips und lächelt über die Versuche seiner Frau, Schwiegermutter zu werden. Sie glaubt, dass sich ihr Mann nur für Slips und nicht für deren Inhalte interessiert.

In dieser Beziehung unterschätzt sie ihn, denn er hat eine. Mit einer Mitarbeiterin.

So, jetzt habe ich Ihnen die Personen vorgestellt. Die Handlung beginnt damit, dass die Hohmeyers in die Oper gehen wollen, und Franziska kommt wieder einmal zu spät vom Bauernhof, muss auf Wunsch ihrer Mutter ein Bad nehmen, denn gerade heute hat ihre Erzeugerin wieder einen Eheaspiranten an Land gezogen, einen echten Prinzen.

Die Hohmeyers gehen vorher noch ins „Ritz“ essen, und ihre Tochter soll nachkommen. Sebastian putzt die Fenster, und plötzlich durchquert Franziska, in ein Badetuch gehüllt, den Raum. Sie entdeckt Sebastian nicht, aber Sebastian sie. Er ist hingerissen, teilt gleich über Handy seinem Freund mit, dass er eben die Frau seines Lebens gesehen hat. Er putzt sogar die Rahmen der Fenster so langsam, dass er ein paar Mal wieder ins Haus kommen kann, um ihr zu begegnen.

Margot Hohmeyer mag ihn. Nachdem sie hört, dass er Musik studiert und auf dem besten Wege zum Generalmusikdirektor ist, findet sie ihn als Schwiegersohn akzeptabel, und sie überlegt schon, welchen Schmuck sie dann bei der Premiere tragen soll.

Dann wird es dramatisch. Das Gut verzichtet aus gutem Grund einige Tage auf Franziskas Mitarbeit. Es wird nämlich geschlachtet. Aber Franziska fährt dennoch hin, und Mutter Hohmeyer schickt vor Angst, dass ihrer Tochter etwas passiert – natürlich passiert etwas – Sebastian hinterher: Ein Gewitter zieht auf, Franziska versucht, Carlos in die Scheune zu bugsieren, das Schwein soll doch nicht nass werden, sie allerdings wird es und Sebastian, der ihr hilft, auch. Sebastian hat kein Cabriolet, sein Wagen hat auch eine viel bessere Heizung, und die beiden, die sich inzwischen schon mögen, rubbeln sich gegenseitig ab. Es wird ihnen warm, und im Gegensatz zu den Gebrüdern Grimm küsst der Prinz Dornröschen erst wach, nachdem er mit ihr geschlafen hat. Das Ende verrate ich Ihnen nicht. Sie können es sich ja denken.

Curth Flatow


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