Mein Name ist Rachel Corrie

Rachel Corrie
Mein Name ist Rachel Corrie
(My Name is Rachel Corrie - Taken from the Writings of
Rachel Corrie)
Aus den Aufzeichnungen und Selbstzeugnissen von Rachel Corrie. Zusammengestellt von Alan Rickman und Katharine Viner
Deutsch von Bernd Samland
1 D, 1 Dek
Porträt der jungen, unvollendeten Dichterin als Friedensaktivistin? Ein Stück Dokumentartheater der besonderen Art – oder die szenische Verklärung einer jungen, so naiven wie kreativen, wissbegierigen, einfühlsamen, fantasiebegabten Amerikanerin zur Lichtgestalt der
internationalen Solidarität?

Die Google-Suche ergibt dieser Tage bei der Eingabe des Namens Rachel Corrie über eine Million Treffer. Wer will und kann, mag sich daraus ein Bild machen – Fluch und Segen des Internets. Heiß verehrt und viel gescholten – Ikone der Nahost-Friedensbewegung, als Antisemitin beschimpft und gelobt – als gäbe es nur die Extreme.

Fest steht: „Rachel Corrie wurde am 10. April 1979 in Olympia, Washington, USA geboren. Bevor sie ihr Studium am Evergreen State College in Olympia beendet hatte, schloss sie sich am 25. Januar 2003 mit Bürgern anderer Staaten dem International Solidarity Movement – eine Organisation zur Unterstützung des palästinensischen gewaltlosen Widerstands gegen Israels militärische Besetzung – zur Arbeit in Gaza an.“ (Alan Rickman und Katharine Viner in einer Vorbemerkung zu ihrem Text.) Beim Versuch, den Abriss eines palästinensischen Wohnhauses zu verhindern, wurde sie am 10. März 2003 von einem israelischen Bulldozer überrollt.

Der englische Schauspieler und Regisseur Alan Rickman und die Journalistin Katharine Viner haben aus dem schriftlichen Nachlass Rachel Corries, aus Tagebüchern, Notizen und E-Mails an die Familie und von der Familie einen Text zusammengestellt, der das facettenreiche, widersprüchliche, aber immer authentische Bild einer jungen Frau entwirft, deren schon früh entwickelter Sinn für Gerechtigkeit nicht nur zu sozialem Engagement in ihrer Heimat führt, sondern folgerichtig zum Wunsch nach sinnlicher Welterfahrung und Weltverbesserung.

So schreibt sie an ihre Eltern: „Ich weiß, ich mache euch Angst… aber ich will schreiben, und ich will sehen. Und worüber würde ich schreiben, wenn ich nur in diesem Puppenhaus, dieser Blumenwelt, in der ich aufwuchs, bliebe?“ Für sie, die allen Verallgemeinerungen abhold ist, war die Wahrheit immer und überall konkret. Der einzige in das Stück montierte „fremde“ Außentext ist der Augenzeugenbericht des Journalisten Tom Dale vom Ende Rachel Corries.

Und ans Ende ihrer Montage stellen Rickman & Viner einen Text der zehnjährigen Rachel, den diese bei der Pressekonferenz der fünften Klasse in ihrer Schule zum Thema Welthunger gesprochen hat und der mit den Sätzen beginnt:

„Ich bin hier für andere Kinder.
Ich bin hier, weil ich mir Sorgen mache.
Ich bin hier, weil überall Kinder leiden und weil täglich vierzigtausend Menschen des
Hungers sterben.“

Und am Ende ihres gedichtähnlichen Textes steht die Hoffnung auf ein menschenwürdiges
Leben für alle Menschen.
Diese Hoffnung will und kann auch dieser von Rickman und Viner zusammengestellte Text wecken.

(Bernd Samland)


Rachel Corrie war etwas konfus, mager und Kettenraucherin, sie liebte Dalí, stellte Tätigkeitslisten auf und hatte eine Leidenschaft für die Musik von Pat Benatar. Den ihr Nahestehenden wäre es lieber gewesen, sie hätte Berühmtheit nicht durch ihren Tod als blonde, junge, idealistische Amerikanerin erlangt. Drei Jahrzehnte, bevor sie von einem D-9-Bulldozer getötet wurde, hatte ihr Vater in Vietnam selbst Bulldozer gefahren.

Für die Palästinenser wurde sie zur Märtyrerin, ein Opfer der Intifada, die der mächtigen israelischen Armee die Stirn geboten hatte. Viele Israelis allerdings betrachteten sie bestenfalls als naiv, weil sie sich in eine Situation einmischte, die sie nicht verstand. Und in den Augen einiger Amerikaner war sie sogar eine Verräterin. Internet-Seiten lärmten: „Sie sollte für ewig in der Hölle schmoren“; „Schmeißt sie auf den Müll, wo sie hingehört“; „Ich bin froh und glücklich, dass sie tot ist“.

Mit diesem Theaterstück wollten wir die junge Frau hinter dem politischen Symbol, zu dem sie geworden ist, über ihren Tod hinaus erkennbar machen: Weder Heilige noch Verräterin, ernsthaft wie lustig, konfus und talentiert, von verhängnisvollem Weitblick und doch unversehrt in ihrer Menschlichkeit. Oder, in ihren eigenen Worten: „Chaotisch und unangepasst und zu laut.“


(Katharine Viner)



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