Der Star mit dem Stern
Charles Lewinsky und Klaus GendriesDer Star mit dem Stern
Nach dem Roman „Gerron“ von Charles Lewinsky
Szenische Einrichtung und Auswahl der Lieder von Klaus Gendries
1 D, 2 H, 1 Pianist, Verw - Dek
Kurt Gerron, der Tiger Brown der Uraufführung von Brechts „Dreigroschenoper“ 1928 in Berlin, eröffnete die Vorstellung mit dem Mackie-Messer-Song. Die Aufführung wurde ein theatergeschichtlicher Erfolg von internationaler Bedeutung und Kurt Gerron ein Star. Als Zauberkünstler in Josef von Sternbergs Ufa-Tonfilm von 1930, „Der blaue Engel“, ist Kurt Gerron einem breiteren Publikum heute noch am ehesten erinnerlich. In den darauf folgenden drei Jahren dreht er 26 Filme, 13 als Schauspieler, 13 als Regisseur. 1932 heißt es im „Film-Kurier“: „Seine Filme sprühen vor Leben, sie sind von einem Menschen gemacht, der die Welt mit wachen Sinnen sieht, dem das Filmen augenscheinlich höllischen Spaß macht und der die wichtige Eigenschaft besitzt, dass das, was ihm gefällt, auch dem Publikum zusagt.“
Ein Jahr später darf dem Publikum nicht mehr gefallen, was ihm gefällt, jedenfalls nicht, wenn Kurt Gerron im Spiele ist. Am 1. April 1933, Tag des Judenboykotts, platzt mitten in die Dreharbeiten zu seinem Film „Amor an der Leine“ gegen Mittag der Produktionsleiter und verkündet, wer nicht ein tadelloser Arier sei, habe sofort das Atelier zu verlassen. Mit einem Parteiregisseur wurde weitergemacht und die Traumpaar-Karriere Magda Schneider/Wolf Albach-Retty unter dem Titel „Kind, ich freu’ mich auf dein Kommen“ gestartet.
Zur Tragödie wurde Gerrons letzte Regie, in Theresienstadt, 1944. Nach Jahren konnte er endlich wieder drehen. Es war die gekonnte Realisierung einer teuflischen Idee: Ein Werbefilm über das humane KZ, in dem die Juden unter sich sein durften, mit Konzerten und Fußballspielen, Tomatenzucht und Kabarett. Wer beim Pflegen der SS-Gärten auch nur eine Tomate einsteckte, wurde erschossen – nicht vor der Kamera natürlich. Gerron musste auch seine Auftritte als Moritatensänger in der „Dreigroschenoper“, die ihn international zum Begriff gemacht hatten, im „Karussell“, seiner Theresienstädter Kabarettbühne, nachstellen und verfilmen: Und der Haifisch, der hat Zähne… Nach jeder Szene, die abgedreht war, wurde, wer auf dem Streifen zu sehen war und nicht mehr benötigt wurde, nach Auschwitz ins Gas geschickt – nach zwölf Drehtagen auch sein Regisseur Kurt Gerron.
Charles Lewinsky erzählt in seinem Roman „Gerron“ die Geschichte dieses Lebens von seinem Ende her. Gerron als Ich-Erzähler ringt mit der Entscheidung, den Auftrag des SS-Kommandanten Rahm für einen Film über das KZ Theresienstadt abzulehnen oder nicht. Natürlich hat er keine Wahl, aber er formuliert alle Gründe des Für und Wider, wie sie sich uns in gefahrlosem Nachdenken darüber heute aufdrängen. Lewinsky lässt Gerron seine Geschichte so erzählen, wie er sie selbst an den Wendepunkten seines Lebens gerne erlebt hätte, um dann mit der Schlussfolgerung „Aber so war es nicht“ die natürliche Erwartbarkeit charakterlich angemessenen Verhaltens mit der Schilderung der bitteren Realität zurechtzurücken.
Klaus Gendries hat die Haltung vieler Künstler heute im Blick, die ähnlich ihren Kollegen vor 1933 die politische Realität nicht ernst nehmen. Mit dem Text des Romans von Lewinsky sowie Kabarettsongs und Liedern Kurt Gerrons und seiner Zeit hat er ein Szenisches Portrait des Berliner Stars Kurt Gerron entworfen, der künstlerisch alles beherrschte, aber auch die eigene Existenz in seiner Phantasie uminszenierte, bis die illusionsfreie Realität sein Leben mit dem Stern auf der Brust gewaltsam beendete.
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