Ecce Constantia!

Pavel Kohout
Ecce Constantia!
12 Szenen
10 H, 1 Dek
1414 – Konstanz ist im „Konzilfieber“! In die 7000-Einwohner-Stadt am Bodensee strömen 70 000 Gäste aus aller Welt, auf jeden Geistlichen kommen sieben Dirnen, der Prunk und Pomp der drei kandidierenden Päpste und ihrer Gefolge verschlingt Unsummen. Beobachtet und kommentiert von Reportern des Fernsehsenders „Ecce Constantia“, die das Jahrhundertereignis medial ausschlachten, tagt das Konzil der Geistlichen unter Geheimhaltung zu den drei Hauptthemen: Aufhebung der Kirchenspaltung durch eine neue Papstwahl, Bekämpfung der Ketzerei und Reform der Kirche.

Der Deutsche Kaiser will schnellstmöglich mit einem Einheitspapst das zersplitterte Europa wieder regierbar machen, die Nationen haben ihm dafür viel Geld geboten. Nun gilt es, zusammen mit einem Rat aus Theologen, dem der italienische Kardinal und sein französischer Berater Jean Charlier angehören, den für die richtigen Bündnispartner geeigneten Kandidaten ins Rennen zu schicken und die anderen Papstanwärter zu eliminieren.

Das politische Ränkespiel ist auch ein tödliches: In der aufgeheizten Stimmung der völlig überfüllten Stadt demonstriert das Konzil die Autorität der Kirche durch den Ketzer-Tod der populären Papstkritiker Jan Hus und Hieronymus von Prag: ein politischer Schachzug, der sich auch gegen den Kaiser richtet. Das immer mächtiger werdende Konzil übernimmt schließlich die Führung und vereidigt den bis dato unbekannten italienischen Kardinal selbst als neuen Papst. Alle unliebsamen Gegner werden beseitigt. Jean Charlier, den schwere Zweifel an der Opferung der böhmischen Reformer plagen, wird längst von der Weltpolitik überrollt. Der Zyniker, Zeitzeuge und Chronist Poggio Florentinus findet die einzigen klaren Worte: Das Konzil war „ein Jahrhundertmarkt, wo man sich rücksichtslos um die begehrteste Ware reißt – die Welt.“

Pavel Kohout arbeitete an seinem historischen Schauspiel über 20 Jahre lang, die Beschäftigung mit dem Reformer und tschechischen Volkshelden Jan Hus war ihm seit jeher ein Anliegen gewesen: „Hus war Gefangener seiner Zeit und erinnerte an die Dissidenten der kommunistischen Ära“, schreibt Kohout in seiner Autobiografie. In dem Märtyrer, der der Staats- und Kirchenmacht die Stirn bot, weil er sich nicht von der Wahrheit distanzieren wollte, fand Kohout einen Bruder im Geiste. Er selbst, früh aus der Kirche ausgetreten, überzeugter Kommunist, trat aus Protest gegen die stalinistische Ideologie wieder aus der Partei aus und ließ sich fortan nie wieder von einer Ideologie vereinnahmen.

Um die schillernde Figur des Jan Hus nicht vereinfachten Interpretationen auszusetzen, lässt Kohout ihn in seinem Stück selbst gar nicht auftreten. Stattdessen erleben wir aus Perspektive der Konzilvertreter, wie das Schicksal des tschechischen Predigers zum Spielball politischer und klerikaler Ränkespiele wird, die heutigen Politikintrigen in nichts nachstehen. In seinem Historienspiel integriert Pavel Kohout historische Quellen und Fakten in klare Dialoge, macht aus historischen Figuren vielschichtige, greifbare Charaktere und schafft so einen überraschend modernen Blick auf das Konzil als wahlkampfpolitisches Medienereignis, das er selbst die „erste Konferenz für Sicherheit und Zusammenhalt der europäischen Geschichte“ nannte.

„Ecce Constantia!“ endet mit einem düsteren Ausblick: Aus all den Ereignissen geht ein neuer Geist hervor in Gestalt des einfachen tschechischen Flüchtlings „Frettchen“. Eben noch hat er seinen Landsmann Hus ans Messer geliefert, nach dessen Tod identifiziert er sich plötzlich mit seinen Lehren. Aber er verkennt sie und radikalisiert sich. Er wird der erste Hussite. Kohout schreibt im Vorwort zu seinem Stück eine heute wieder beunruhigend aktuelle Botschaft: „Die böhmischen Ketzer waren ohne Zweifel die integersten Männer ihrer Zeit und hatten die bis heute geltenden Zeichen des Glaubens und Mutes gesetzt, während die radikalsten Hussiten das Königreich Gottes mit Hilfe des Terrors errichten wollten – auch eine bis heute nicht erloschene Erbschaft.“


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