Lang
Sebastian BrauneisLang
Ein Musikalischer Abend
Kammerspiel in einem Akt
3 H, 1 Dek
Eine geschlossene Gesellschaft dreier Wiener aus der Spätzeit der K.u.K.-Monarchie, die unfreiwillig zusammentreffen, weil das Gesetz es so will: Ein DOKTOR der Medizin, der die staatliche Ordnung vertritt, die über Tod und Leben entscheidet, ein öffentlich bestellter Henker (LANG), der das Töten von Menschen als einen Beruf wie jeden anderen versteht, und ein namenloser Delinquent (BURSCHE). Ebenso wie der DOKTOR versteht sich LANG als rechtschaffene Person, die vollstreckt, was das Gesetz vorschreibt. LANG übt seinen Beruf tadellos aus, ja „human“, da auf der Grundlage einer Rechtsordnung, „die ganz im Zeichen eines aufgeklärten, christlich geprägten und vernünftigen, praktischen Humanismus steht.“ Den beiden Honoratioren ausgeliefert ist der junge BURSCHE, der weiß, dass er den Raum in der Gesellschaft mit diesen beiden ehrenwerten Herren nicht mehr lebend verlassen wird.
LANG versteht es, sich geschmeidig zu bewegen zwischen dem Schwadronieren des bräsig, selbstgefällig daherkommenden DOKTORs und dem BURSCHEN, der nichts mehr zu verlieren hat als seine Vision von einem Sozialrebellen. Gegen die unausweichliche Front der todbringenden Liaison von DOKTOR und LANG versucht der zum Tod durch Erhängen verurteilte Delinquent, sich mit dem letzten Mittel zu behaupten, das ihm noch zur Verfügung steht: der Sprache. Von der wienernden Tonart wechselt der BURSCHE ins Hochdeutsche.
Diese rhetorische Distanzierung erlaubt ihm, sich als Revoluzzer zu gebärden und sich mit beißender Ironie und sezierendem Blick über den DOKTOR als Personifikation staatlicher Gewalt und über LANG als zu deren Vollstreckung beauftragter Scharfrichter zu erheben.
Dies kann ihm kaum gelingen, im Gegenteil, der DOKTOR und LANG geben sich Stichworte, und leben damit auf, bis an die Grenze des Erträglichen, wenn sie in einem unausgesprochenen Understatement ihren sadistischen und masochistischen Todesfantasien freien Lauf lassen können. Auch der BURSCHE, das Opfer, läßt gegen Schluß keinen Zweifel mehr daran, wozu er fähig wäre, wenn er die Situation umkehren könnte.
LANG, die Hauptfigur, versteht es perfekt, seine Position gleichsam zu neutralisieren. Er kann es sich leisten, nach zwei Seiten hin „Verständnis“ zu zeigen. Sowohl für den DOKTOR als auch für das letzte Aufbegehren des BURSCHEN hat er ein Ohr, aber deren Meinungen fechten ihn nicht an. LANG kennt den Ablauf und weiß um dessen Ausgang und riskiert nichts, wenn er zwischen DOKTOR und dem BURSCHEN hin und her laviert, mit dem Schein gleichgültiger Empathie und für die Dauer von nicht mehr als einer „Gnadenfrist“.
Dieser Abend mit Musik liefert ein Porträt der Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts, durchsetzt mit Wien-Klischees, deren scheinbare Harmlosigkeit umso krasser die Gewalt hervortreten lassen, mit der eine Rechtsordnung die Todesstrafe per Gesetz legitimiert.
Welches Menschenbild in welcher sozialen Ordnung ist heute aktuell?
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