Kalka
Kerstin HenselKalka
Stück in 18 Szenen
1 D, 2 H, Chor (5 D/H), Verw - Dek
Er ist Einer, wie wir ihn unter uns haben: ein Mann, der gern leben möchte, aber zum Leben nicht finden kann. Aufgewachsen unter verlogenen moralischen Exerzitien, nährt er sich von Surrogaten zum Glücklichsein: Anerkennung, Erfolg, Reichtum, Macht... Kalka folgt den perversen Forderungen unserer Gesellschaft. Ihm wird der klare Blick abtrainiert, und er bleibt gefangen in seiner Existenz zwischen Kleinbürger und Ausnahmemensch. Die Liebe, die sich ihm in den Weg stellt, verkennt er. Trotz allem ist seine Sehnsucht nach Liebe nicht totzukriegen. Kalka ist der Mann mit dem niedergeschlagenen Willen, der selbst die Lust zum Schlagen in sich spürt. Ein Mann voller Angst vor inneren und äußeren Abstürzen. Die Zeit hat Fieber. Kalka vermisst sich an ihr. Seine Tragik-Komik besteht im Größenwahn, der sich letztlich nur am Kleinen ausmachen kann. Er ist ein Warnbeispiel des sinnentleerten Glücksuchers.
Der Bankangestellte Franz Kalka hat einen Traum: er möchte gern wie sein Chef Schmer werden, mehr noch: ihn an Glück und Erfolg überflügeln. Aber die kleine Stadt Niebel, die ihn festhält, führt ihn nur auf den Weg zum Jammertal der Sehnsucht. Wie es sein Beruf und die öffentlichen Forderungen verlangen, trainiert er die Unterordnung seines Willens unter die Meinungen der anderen.
Franz Kalka hat einen Alptraum: seine spießig-strenge Familie, die ihm während seiner Abstürze erscheint und sein bisschen Selbstbewußtsein, das er besitzt, in regressives Abhängigkeitsgestammel verwandelt.
Franz Kalka begegnet einer Traum-Frau: Puschel, ein Wesen aus ferner armer Welt, stark, begabt, widerspenstig und verletzlich. Puschel, die einst von Schmer zwecks Erotik, Putz- und Kellnerarbeit gekauft wurde, verliebt sich in den dünnhäutigeren, weniger coolen Kalka.
Kalka, seines Glückes nicht bewusst, arbeitet gegen das Glück: er gibt sich den Zwängen des materiellen Erfolges und der Macht hin. Er versucht Schmer umzubringen, um seinen Posten einzunehmen. Der Mordanschlag misslingt. Kalka belügt sich und Puschel, indem er Puschel einsperrt, eine Scheinwelt des Erfolges aufbaut und den Mächtigen spielt.
In seiner Hybris, Angst und Nervosität, greift er zu den absurdesten Mitteln, um aus allem Gewinn und Anerkennung herauszuschlagen: den Teilnehmern einer Kaffeefahrt versucht er Puschel als Sklavin anzubieten. Aber auch dieser Versuch der Machtausübung misslingt.
Puschel flieht aus dem Käfig und begibt sich auf eine verzweifelte Suche nach ihrem weiteren Lebensweg. An der Grenze zwischen Heimweh und der Sehnsucht nach Kalkas Liebe trifft sie Schmer, den verlassenen eifersüchtigen Liebhaber. Beim Versuch, Puschel zurückzugewinnen, tötet er sie. Schmer ist über seine Tat tief verzweifelt. Er schneidet Puschels Haar ab, als könne er sie durch den Fetisch zurückgewinnen.
Auch Kalka, der sich, wie Schmer, von Puschel betrogen fühlt, ist auf der Suche nach ihr. Er glaubt, sie in Schmer, der Puschels Haar trägt, zu erkennen – und sieht sich wieder einmal hinters Licht geführt. Kalka und Schmer sind am Ende ihrer Kräfte.
Eine neue Art von Erfolgstraining verspricht Rettung: das ICH-Sagen. Schmer, der bislang nicht in der Lage war, sich selbst wahrzunehmen, wird in kürzester Zeit zum sprachlosen Ich-Plapperer. Kalka, der Widerstände gegen die Exerzitien des Trainings spürt, wird vom Chor der Masse "vergewaltigt", indem man ihm die Mundwinkel aufschneidet, damit er besser ICH sagen kann. Er verblutet an seiner eigenen Schwäche und wird dennoch zum kleinen Sieger über die Mächtigen, denen er nie zugehören könnte.
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