Aus der alten Welt
I. Das Verschwinden der Juden
II. Jolly
III. Deeny
David Mamet
Aus der alten Welt
I. Das Verschwinden der Juden
II. Jolly
III. Deeny
(The Old Neighborhood I. The Disappearance of the Jews -
II. Jolly - III. Deeny)
Stück in 3 Teilen
Deutsch von Bernd Samland
2 D, 3 H, Verw - Dek
Damals bei uns daheim...
You Can't Go Home Again...
Es führt kein Weg zurück...
(Thomas Wolfe hat's gewußt.)
Drei Texte - eine Trilogie
Bindeglied ist Bobby Gould, ein geläufiger Name im Theaterkosmos David Mamets, ohne daß die Figur mit jener etwa aus der "Gunst der Stunde" identisch wäre. Bobby (in New York Peter Riegert, in London unter der Regie Patrick Marbers Colin Stinton) begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit.
I: Das Verschwinden der Juden
Bobby und sein alter Schulfreund Joey erinnern sich an ihre Jugend "im alten Kiez", damals in Chicago: Wer wen wann und warum nicht gebumst hat, welche Schickse nicht ganz koscher war, und ob der Schuhladenbesitzer nun Jude war oder nicht, ganz zu schweigen von den fünf Wunderknaben Hollywoods, Fox, den drei Warner Brothers und Mayer. Damals, als die Platzregeln noch galten. Die Beschwörung der Vergangenheit - einer Wunschvergangenheit, aber auch einer Wunschgegenwart. Joey in seinem "Durchschnittsleben" wünscht sich trotz der Judenvernichtung nach Europa. Persönliche Identität als Wunschvorstellung von einem Leben in Übereinstimmung mit der Welt.
II: Jolly
Bobby zu Besuch bei seiner dynamischen Schwester Jolly - in New York brillierte in dieser zentralen Rolle Patti LuPone, in London ist es Zoe Wanamaker - und ihrem nichtjüdischen Mann Carl. Die von Jolly immer wieder aktiv heraufbeschworene Erinnerung an die Kindheit zeigt: die Vergangenheit war nicht rosig. Von den Verletzungen sind Narben geblieben. Vergangenheit: lebenslänglich.
III: Deeny
Bobby bei seiner Geliebten Deeny (in New York Rebecca Pidgeon, die erste Carol in Mamets >Oleanna<). Ein Abschiedsbesuch. Wie schon in >Jolly< ist auch hier die titelgebende Frau die zentrale Figur, vielleicht das lyrische Gegenstück zu Jolly. Etwas ist zu Ende gegangen. Wie aber lebt man weiter?
Die drei Stücke zeigen auf je verschiedene Weise, was in Bobbys Leben zwischen ihm und den andern vorgegangen ist; und indem er - fast ein Novum für einen Mamet-Mann - die anderen, vor allem die beiden Frauen, zum Sprechen bringt, statt selbst das Wort zu führen, erforscht er drei verschiedene Facetten seiner Vergangenheit, die Innenwelt der Außenwelt, die Außenwelt der Innenwelt. Eine Recherche, nicht bloß eine Suche.
Und allen Figuren ist eines gemein: die Sehnsucht nach einer "heilen" Welt, dem gelobten Land, einer Parallelwelt sozusagen, in der Liebe, Religion, Gemeinschaft ("Ritual", "Zeremonie", wie es verschiedentlich heißt), den formalen Rahmen für ein menschliches, menschenwürdiges Leben bieten. Doch Joey, Bobby, Jolly, Carl und Deeny wissen, daß es um die Möglichkeit, diese bessere Welt Wirklichkeit werden zu lassen, schlecht bestellt ist. Genau daraus schöpfen sie ihre Kraft. Nicht versöhnt, lassen sie Versöhnung erahnen. Auch wenn, gesprochen von Bobby, das letzte Wort lautet: "Lebwohl, meine Liebe."
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